Gehäkelte Hoffnung und bunte Slumstraßen
Drei Kenianer haben außergewöhnliche Wege gefunden, um sich und anderen neue Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Was sie antreibt und wie sie sich ins Leben zurückgekämpft haben.
Von Christoph Wegener
Der Künstler
Ein Besuch in der Galerie von Ndereva Mutua kann tödlich enden, auch wenn das an diesem Nachmittag schwer zu glauben ist. Kinder spielen auf der Straße, Mädchen flechten sich die Haare, eine Gruppe junger Männer betrachtet die Graffiti von Mutua. Die Bilder des 25-Jährigen reihen sich hier, in einer Gasse mitten im Slum Mathare, aneinander. Einst ein koloniales Internierungslager, ist Mathare heute eine der größten informellen Siedlungen in Kenias Hauptstadt Nairobi. In diesem Labyrinth aus engen Wegen und maroden Hochhäusern leuchten Mutuas Bilder in Orange-, Blau- und Rottönen. Nachts verschwinden sie in der Dunkelheit, denn auf der kleinen Straße gibt es keine Laternen. „Aber dann sollte hier sowieso niemand sein“, sagt der Künstler. „Es fallen oft Schüsse.“
Alleine 2021 seien 15 Jugendliche in der Gegend gestorben, Mutua kannte die meisten Opfer. Ihre Mörder seien keine Kriminellen, die nach Opfern in den dunkle Gassen suchen. „Es ist die Polizei, die uns jagt, verhaftet und umbringt“, sagt Mutua. Er steht vor einem seiner Werke. Dutzende Menschen haben sich darauf versammelt, über ihnen schwebt schützend eine blaue Polizeimütze. Es ist, was sich Mutua und viele Menschen hier im Slum wünschen: Männer und Frauen in Uniform, an die sie sich in der Not wenden können. Die zwischen Armut und Gewalt für Sicherheit sorgen.
Doch davon ist die Realität im Slum weit entfernt. Mutua hatte das Bild mit der Polizeimütze nicht fertig gemalt, da musste er Blutspitzer überstreichen, die das Motiv überzogen, wie der Künstler erzählt. Die rotbraunen Flecken verschwanden unter blauer Farbe. Das Leben könne hier gerade als junger Mann schnell vorbei sein, sagt Mutua und zuckt mit den Schultern. Er kennt es nicht anders, habe mit Zehn zum ersten Mal gesehen wie ein Mann erschossen wurde.
Doch als der 25-Jährige vom Tod eines engen Freundes spricht, bricht auch seine Stimme: „Er war kein Krimineller, hat jeden Tag in einem Hotel Koffer geschleppt. An seinem freien Tag haben sie ihn nachts einfach verhaftet, auf die Wache gebracht und später erschossen. Warum, das weiß keiner.“ Die Willkür, mit der die Polizei vorgeht, ist für den Künstler kaum zu ertragen. Jeder Jugendliche sei in ihren Augen verdächtig.
Mathare ist seit der Kolonialzeit von Polizeistationen umgeben, weil sich die Bewohner immer wieder gegen die Besatzer auflehnten. Die Regierung wechselte, aber die Polizisten blieben und bis heute kommt es immer wieder zu tödlichen Konflikten.
Nach Angaben des „Missing Voices“-Berichts 2021, der von 15 Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen zusammengestellt wurde, dokumentierte man alleine im Zusammenhang mit Einsätzen von Polizisten der Pangani Polizeistation in einem Jahr 30 Fälle von Tötungen durch die Polizei. In ganz Nairobi waren es insgesamt 81. Die Pangani Station liegt nicht weit von Mathare und der Straße mit Mutuas Graffiti entfernt.
Im Netz finden sich Videos von Beamten der Pangani Station wie Ahmed Rashid, der im Jahr 2017 zwei unbewaffnete Verdächtige auf offener Straße erschoss. Die Aufnahmen der kaltblütigen Hinrichtung sind erschreckend. In den Kommentaren auf Youtube feiern Rashid trotzdem viele als Helden. Als einen Mann, der endlich Recht und Ordnung in das Chaos des Slums bringt, dem sich die Menschen hier ausgeliefert fühlen.
Es ist eine Spirale aus Verzweiflung und Gewalt, die kaum unter Kontrolle zu bringen ist. Mutua verlässt Mathare trotzdem nicht. Der 25-Jährige will seiner Heimat neues Leben einhauchen. „Farbe kann dunklen und bedrohlichen Ecken ihren Schrecken nehmen“, ist er sich sicher. Mutua übermalt die tristen Hauswände und Mauern aber nicht nur, um bunte Akzente zu setzen. Die Werke, von denen einige die Europäische Union über Förderprogramme finanziert, transportieren seine persönliche Sicht auf die Welt des Slums. Sie sind Zeugnisse der harten Lebensrealität, Denkmäler für alte und neue Helden, und vermitteln unmissverständliche Botschaften.
„Drogen beenden alle Träume“ steht auf einer Wand. Ein dürrer Mann klammert sich an eine Schnapsflasche, aus seinem Mund hängt ein rauchender Joint. Mutua fürchtet sich vor Drogen. Zu oft habe er mit angesehen, wie Menschen ihre Ziele und Träume aufgaben, sich in der Sucht verloren. Der Künstler will das Problem sichtbar machen. „Manchmal hilft es schon zu sehen, dass jemand sich über meine Situation Gedanken macht. Die Not nicht ignoriert“, sagt Mutua. Gegenüber des verzweifelten Trinkers hat er Ärztinnen und Krankenschwestern in grünen Kitteln auf überlebensgroßen Portraits verewigt.
Für Mutua haben sie das Land in der Corona-Pandemie gerettet, es ist seine Art sich zu bedanken. Auf einem anderen Bild fordert der 25-Jährige die Menschen dazu auf, sich an politischen Wahlen im Land zu beteiligen. Und er malt Freiheitskämpfer, die sich während der Kolonialzeit den britischen Besatzern widersetzten. Ihr Abbild soll die Menschen inspirieren. „Veränderung beginnt immer mit dir selbst. Jeder einzelne muss dafür kämpfen“.
Um das zu verstehen, brauchte er selbst Jahre. Als Schüler zeichnete Mutua erst mit Bleistift auf Papier, wagte sich an größere Motive und sprühte schließlich seinen Namen an die Wände. Damit konnten die Leute im Slum aber wenig anfangen. Der Jugendliche suchte nach neuen Ansätzen und fand schließlich den Künstler Banksy, dessen Motive ebenso ausdrucksstark wie politisch sind. Solche Werke wollte Mutua schaffen. Er verkaufte seine Schuhe, um sich Farbdosen leisten zu können und versuchte sich an einem Portrait des Reggae-Musikers Bob Marley. „Es sah schrecklich aus, niemand hat erkannt, wer es sein sollte“, sagt der Künstler und muss lachen.
In den folgenden Jahren brachte er sich neue Techniken über Youtube-Videos bei, besuchte Workshops und lief jeden Morgen drei Stunden zu Fuß zu seinem Zeichenlehrer. Mutuas Bilder wurden mit jedem Versuch besser und die Reaktionen der Menschen im Viertel motivierten ihn, weiterzumachen. „Selbst Polizisten haben gesagt, dass ich mehr Graffiti sprühen soll. Nur wegen einem kritischen Bild gegen die Polizeigewalt gab es Ärger“, sagt Mutua.
Inzwischen hat er in ganz Nairobi weit über 100 Graffiti gemalt. Mutua nutzt seine Bekanntheit, um Kinder und Jugendliche im Slum an die Graffiti-Kunst heranzuführen. Viele Familien müssen sich entscheiden, ob sie ihrem Kind Stifte oder etwas zu Essen kaufen, sagt Mutua. Für Kunst bleibt da kein Platz. Das will er ändern, genauso wie die Situation der Menschen im Slum.
Durchzuhalten, fällt aber auch ihm nicht leicht. Trotz all des Herzblutes, das durch seine Farbdosen fließt und sich an den Wänden verteilt, ändert sich die Grundsituation in Mathare kaum. Menschen finden keine Arbeit, stehlen, um nicht zu hungern, sterben in der Dunkelheit. „Wenn wieder jemand erschossen wird, frage ich mich, ob meine Arbeit überhaupt etwas bringt“, sagt Mutua.
Schon oft dachte er daran, aufzugeben und entschied sich doch anders. „Es geht hier nicht um mich und meine Sorgen. Ich mache das für alle Bewohner des Slums. Wenn sich nur ein Mensch durch meine Bilder besser fühlt, ist es das auf jeden Fall wert.“ Welchen positiven Effekt Mutuas Graffiti haben, ist hier auf der Straße unübersehbar: Immer wieder halten Menschen inne und nehmen sich einige Minuten, um die Motive zu betrachten. Der Künstler hat hier auf der Straße einen Ort der Hoffnung und Ruhe geschaffen. Einen farbenfrohen Platz, den die Menschen hier dringend gebrauchen können.
Die Überlebenden
Der weiße Wollball in Sarah Wanguis Hand sieht unscheinbar aus, aber er hat ihr Leben für immer verändert. Wangui schiebt die weiche Kugel unter ihr T-Shirt, platziert sie an der Stelle, wo früher einmal ihre Brust war. Die 36-Jährige hat sie an den Krebs verloren. „Doch das sieht jetzt keiner mehr“, sagt sie und lächelt stolz. „Niemand schaut mich mehr angewidert an oder beleidigt mich.“
Vor acht Jahren entdeckten Ärzte bei einer Routineuntersuchung den Brustkrebs. Wangui wusste nichts über die Krankheit, ging nie zur Vorsorge und fühlte sich gesund. Der Tumor breitete sich unerkannt in ihrem Körper aus und sie musste schnellstmöglich operiert werden. Mit der anschließenden Chemo-Therapie begann Wanguis Albtraum. Sie litt unter starken Schmerzen, Wunden verheilten schlecht, die Haare fielen ihr aus.
Nachbarn, Freunde und selbst die Familie behandelten mich wie eine Aussätzige, sagt sie. Aus Angst sich anzustecken, wollte niemand mit ihr ein Zimmer teilen, der Mann verließ sie und das gemeinsame Kind. Tränen laufen der 36-Jährigen über die Wangen, als ihre Freundin Ashura Mciteka berichtet, wie Wangui ihren Kummer in Alkohol ertränkte und manchmal stundenlang besinnungslos am Straßenrand lag.
Doch Mciteka wollte die alleinerziehende Mutter nicht aufgeben. Sie selbst sei „eine Überlebende“. Während der eskalierenden Unruhen nach den kenianischen Präsidentschaftswahlen 2007 wurde Mciteka vergewaltigt und angeschossen. Nicht, weil sie demonstrierte, sondern einfach, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort war. „Aber ich habe mich ins Leben zurückgekämpft“, sagt Mciteka. Sie war überzeugt, dass das Sarah Wanguis auch gelingen kann. Mciteka und andere Frauen aus der Nachbarschaft unterstützten die Krebspatientin im Alltag, waren an ihrer Seite, wo alle anderen Abstand nahmen und halfen ihr aus der Alkoholsucht. Als Wangui wieder klar denken konnte, fasste sie einen Entschluss: Keine Frau sollte durchmachen müssen, was sie erlebt hatte.
Viele Bewohnerinnen von Dandora, einem Slumviertel im Osten von Nairobi, haben laut Wangui mit Krebserkrankungen zu kämpfen. „Grund dafür ist dieser Ort. Er macht die Menschen krank“, sagt sie und meint damit Nairobis größte Müllhalde. Zwischen den Häusern von Dandora ist sie über Jahrzehnte gewachsen und erstreckt sich mittlerweile über eine Fläche von rund 30 Hektar. Wer auf ihren Hügeln steht, kann das Ende am Horizont nur erahnen. Im Viertel hängt der Geruch von verrottendem Abfall und verbranntem Gummi in der Luft.
Giftstoffe dringen in jede Straße, jedes Haus, jeden Körper ein. Gesundheitsorganisationen warnen schon lange vor den Folgen für die Menschen in Dandora, die zu Tausenden auf den Müllbergen nach recyclebarem Plastik und anderen Wertstoffen suchen oder in der Nähe der Halde leben. Dandora zu verlassen, sei für viele Bewohner aber keine Option, sagt Sarah Wangui. „Das Leben hier kann ich mir leisten, Lebensmittel und auch die Mieten sind günstig. Woanders hätte ich keine Chance.“
Um den Frauen in ihrem Viertel zu helfen, schloss Wangui sich Ashura Mciteka und den anderen Mitgliedern der „Coalition of grassroots women initiative“ an. Die Frauenrechtsorganisation will den Bewohnerinnen von Dandora eine Stimme geben. Die Aktivistinnen sammeln Geld, wenn eine Mutter sich die Schulgebühren nicht leisten kann. Sie demonstrieren vor Polizeiwachen, wenn eine junge Frau vergewaltigt wurde, aber niemand nach dem Täter fahndet.
Wangui selbst sucht heute den direkten Kontakt zu Krebspatientinnen, klärt sie über die Gefahren der Krankheit und präventive Maßnahmen auf. Zudem wirbt sie dafür, dass sich Frauen regelmäßig von Ärzten auf Brustkrebs untersuchen lassen und organisiert Vorsorgetermine. Vorurteile seien im Slum weit verbreitet. „Manche Menschen denken, es handelt sich bei Krebserkrankungen um schwarze Magie oder ein ansteckendes Virus“, erklärt Wangui.
Die betroffenen Frauen zu erreichen, sei deswegen schwierig. Sie verstecken sich aus Angst vor Diskriminierung und wollen keine Hilfe annehmen, um nicht aufzufallen. Aufklärungsarbeit alleine reiche nicht aus, um die Krebspatientinnen wieder in die Gesellschaft zu integrieren. „Die Menschen sehen nur, dass dir eine Brust fehlt und meiden dich“, sagt Wangui.
Ein Silikonimplantat kostet mehrere Hundert Euro, was für die Frauen im Slum unbezahlbar ist, die oft weniger als einen Euro pro Tag verdienen. Aus Verzweiflung stecken sie sich Bananenblätter oder Socken in den Ausschnitt. „Das ist nicht nur unangenehm, sondern versteckt kaum, dass du anders aussiehst als alle anderen“, sagt die Krebspatientin.
Lange Zeit wusste auch sie keine Lösung. Doch die Frauen der „Coalition of grassroots women initiative“ sind weit über Dandoras Grenzen hinaus vernetzt. Bei einem Treffen mit einer Fraueninitiative aus Ruanda lernte Wangui, wie sie Brustimplantate aus Wolle herstellen kann. Inzwischen verkaufen die Aktivistinnen die selbstgehäkelten Bälle für umgerechnet sieben Euro an Frauen im Viertel.
Die Frauenrechtsorganisation kann durch den Verkauf der Implantate, auf deren Verpackung „Keine Frau ohne Brüste“ steht, und durch Spenden inzwischen Frauen aus der Nachbarschaft beschäftigen: In einer Ecke des kleinen Büros in Dandora sitzen Seniorinnen und sind in ihre Häkelarbeit vertieft. Wer sich Dandora die Implantate nicht leisten kann, bekommt sie umsonst. „So erhalten die betroffenen Frauen ihr Leben zurück, sind keine Ausgestoßenen mehr“, sagt Wangui. „Es sind wirklich magische Brüste.“
Der Vater
Wenn George zu Boden fällt, ist sein Vater James Kabindu sofort zur Stelle. Er greift seinem 19-jährigen Sohn unter die Arme, setzt ihn in den Rollstuhl zurück und streichelt über seinen Kopf. Kabindu und George sitzen im kleinen Hof ihres Hauses. Meterhoch stapeln sich Geflügelkäfige, weiße Federn taumeln durch die Luft, der Geruch von Vogelkot raubt einem den Atem. Am Anfang war George ein lebhaftes Kind, sagt sein Vater. Er krabbelte lachend durchs Haus, war kaum zu bremsen. Als Einjähriger aber verlor George seinen Appetit, konnte nichts mehr mit den kleinen Händen festhalten. Er bekam häufig Fieber, Krämpfe und hyperventilierte.
Die Eltern brachten ihn zum Arzt. Er verschrieb Antibiotika, die kaum Wirkung zeigten. Auch andere Mediziner konnten sich die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes nicht erklären. Sie vermuteten Autismus, Epilepsie oder das Down Syndrom. James Kabindu und seine Frau meldeten ihren Sohn bei einer Betreuungseinrichtung für Kinder mit Behinderung an. Weil der Vater als Manager für Informationstechnik arbeitete, konnte sich die Familie das leisten. Doch Georges Zustand verschlimmerte sich.
Wegen starker Krampfanfälle musste der Anderthalbjährige Tag und Nacht betreut werden. Kabindus Frau schloss ihr Geschäft, das Paar stellte Haushaltshilfen an. „Aber keine hielt länger als eine Woche bei uns aus“, sagt der Vater. Die Eltern investierten viel Geld in Krankenhausbesuche, sie versuchten ihrem Sohn irgendwie zu helfen – ohne Erfolg. Gut vier Jahre ging das so, dann kam Georges Schwester Angel zur Welt. Das Mädchen war gesund, die Eltern überglücklich. Doch Angel entwickelte nach einigen Monaten die gleichen Symptome wie ihr Bruder.
Zwei Jahre nach der Geburt seiner Tochter verlor James Kabindu seinen gut bezahlten Job. „Ich war am Ende meiner Kräfte und habe es nicht mehr geschafft, die hohen Erwartungen zu erfüllen“, sagt er heute. Der Vater baute sich ein Geschäft mit Geflügel auf. Er züchtet die Tiere, verkauft ihre Eier und das Fleisch, um die Arztbesuche zu finanzieren, und seine beiden Kinder zu Hause betreuen zu können. 2015 beschloss Kabinu, im Ausland nach Hilfe für George und Angel zu suchen.
Er fand in Indien einen Spezialisten, startete online eine Spendensammlung, um die Reise zu finanzieren. Es kamen rund 1000 Euro zusammen, die Freunde, Familie und auch völlig Fremde spendeten. Die beiden Kinder wurden auf verschiedene Krankheiten getestet und endlich, nach zwölf Jahren der Ungewissheit, gab es eine Antwort: George und Angel leiden an der seltenen Stoffwechselkrankheit Phenylketonurie (PKU).
Die Kinder dürfen keinen Zucker, kein Getreide und kein Fleisch essen, damit sich ihr Zustand nicht verschlimmert, sagt Kabindu. „Sie brauchen eine spezielle Diät aus Vitaminen, Gemüse und Früchten. Zusätzlich fallen Kosten für teure Medikamente und regelmäßige Physiotherapie an.“ Nahrungsergänzungsmittel und Medizin müssen aus Übersee bestellt werden. Unterstützt wird Kabindu vom kenianischen Staat nur über Steuervorteile. „Wir werden ansonsten alleingelassen“, sagt er.
Aufgeben ist für ihn aber nie eine Option gewesen, sagt Kabindu und streift seinem Sohn eine Jacke über, als er zu zittern beginnt. „Ich muss stark sein, sonst bricht hier alles zusammen.“ Vor einigen Jahren habe er von einer speziellen Art der Screening-Tests erfahren, die nach der Geburt durchgeführt wird und PKU wie verschiedene andere Krankheiten erkennen kann.
Durch den Test hätte die Krankheit seiner Kinder von Beginn an richtig behandelt und ihre Chance auf ein besseres Leben immens gesteigert werden können, ist Kabindu überzeugt. Er startete eine Unterschriftenkampagne, forderte, dass das Screening künftig auch in Kenia durchgeführt wird. Erfolg hatte er bislang nicht. „Aber wir werden immer weitermachen, um das Leben unserer Kinder und auch das für andere Familien besser zu machen“, sagt er.
Kabindu postet jeden Tag Beiträge auf verschiedenen digitalen Kanälen, um auf die Probleme von Eltern wie ihm aufmerksam zu machen. Die Regierung müsse Menschen mit Handicap und ihre Angehörigen mehr unterstützen. Kabindu selbst sei durch die Geflügelzucht nicht darauf angewiesen. „Aber andere verdienen schon mit einem Vollzeitjob zu wenig Geld. Wer dann noch zu Hause pflegt, hält das mental und auch finanziell nicht lange durch“, sagt er. „Gleichzeitig hat jeder Mensch mit Behinderung es verdient, ein möglichst schönes Leben zu führen.“
Kabindu besucht regelmäßig andere Eltern, die ihre Kinder pflegen, um sie zu beraten und ihnen Mut zu machen. Er gibt ihnen medizinische Ansprechpartner an die Hand, zu denen er über die Jahre Kontakte geknüpft hat und zeigt wie sie wenigstens die Steuervorteile, die der kenianische Staat ihnen gewährt, möglichst gut nutzen können. „Ich sage ihnen auch, dass es mit einem behinderten Kind nie leicht sein wird. Deswegen ist es umso wichtiger, das zu akzeptieren, sich nur mit Menschen zu umgeben, die wirklich eine Stütze sind und immer wieder daran zu denken, für wen man kämpft.“
Er nimmt seinen Sohn George in den Arm, redet mit sanfter Stimme auf ihn ein. Die Liebe zu seinem Kind gibt ihm Kraft, sagt Kabindu. Er werde immer für ihn und Angel da sein, egal wie oft sie hinfallen, egal wie oft er nachts aufstehen und sie beruhigen muss. Das glaubt man dem Vater sofort.